Unternehmen: Berufsförderungswerk Halle (Saale) gGmbH – Berufliches Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte

Unternehmensgröße: 51 – 200 Mitarbeiter:innen

(Betrieblicher) Einsatzbereich: Forschung und Entwicklung

Einführungszeitraum: von 2019 bis 2020

KI-Methode/n: Spracherkennung, Wissensmanagement

KI-Partner: Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz GmbH (DFKI)

Autor: Dr. Aljoscha Burchardt

Dr. Aljoscha Burchardt ist Principal Researcher und stellvertretender Standort­sprecher am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Berlin. Er ist Experte für Sprach­techno­logie und Künstliche Intelligenz. Burchardt ist Senior Research Fellow des Weizenbaum-Institutes für die vernetzte Gesellschaft und stell­ver­tre­ten­der Vorsitzender der Berliner Wissenschaftlichen Ge­sell­schaft. Außerdem war er als Sachverständiger Mitglied der Enquete-Kommission “Künstliche Intelligenz” des Deutschen Bundestages.

Autorin: Charlene Röhl

Seit Oktober 2020 arbeitet Charlene Röhl als Researcherin im Forschungsbereich Speech and Language Technology (SLT) unter der Leitung von Sebastian Möller, am DFKI Berlin. In ihrer Position als Researcherin und Projektmanagerin im Projekt Evalitech forschte Charlene an der Entwicklung einer innovationsorientierten Evaluationsmetrik für den Bereich Industrie 4.0 auf Basis von Methoden Künstlicher Intelligenz, wie z. B. Information Retrieval und Informationsextraktion.

Autor: Dr. Sven Schmeier

Dr. Sven Schmeier ist Chefingenieur und stellvertretender Leiter des Speech & Language Technology Lab des DFKI. Er hat mehr als 30 nationale und internationale Projekte in Forschung und Industrie erfolgreich geleitet. Sven war und ist in der Gründungsphase von High-Tech-Unternehmen und Spin Offs des DFKI aktiv.

Gründe für den KI-Einsatz

KI hilft Fachkräften mit Sinnesbeeinträchtigungen dabei, ihren Beruf weiterhin auszuführen, indem durch den Einsatz technischer Hilfsmittel inklusive Arbeitsplätze geschaffen werden. Hierfür kamen im Projekt zum Beispiel für die Arbeitserleichterung von Pflegekräften mit Sehbeeinträchtigungen digitale, durch Sprachbefehle bedienbare Patiententagebücher zum Einsatz Das Berufsfeld Bank war ein weiteres Einsatzszenario, in dem Bankangestellte mit eingeschränkter Hörfähigkeit durch ein „Untertiteltelefon” beim Kundenkontakt unterstützt wurden.

Beschreibung der Anwendung

Das Projekt richtete sich an Menschen, die ihre Seh- und Hörfähigkeit während ihres Arbeitslebens verloren haben, beispielhaft umgesetzt für Pflegekräfte und Bankangestellte. Ziel des Vorhabens war es, den Betroffenen durch den Einsatz von technischen Hilfsmitteln den Wiedereinstieg in ihr Arbeitsleben zu ermöglichen. Hierfür wurden zunächst relevante Problembereiche identifiziert und für die speziellen Bedarfe der beteiligten Testpersonen technische Hilfsmittel entwickelt.

Aufgrund der Corona-Pandemie konnte keine Umsetzung vor Ort, wie ursprünglich geplant, stattfinden. Die in dem Projekt entwickelten Hilfssysteme wurden den Testpersonen jedoch erfolgreich in Form von Forschungsprototypen online vorgestellt. Alle Testpersonen zeigten sich begeistert beim Test der speziell für ihre Bedarfe entwickelten Hilfssysteme.

Digitaler „Pflegemanager“ für Pflegekräfte

Ein großer Aufgabenbereich von Pflegekräften ist es, Pflegeleistungen für die Abrechnung mit Kranken- und Pflegekassen zu dokumentieren. Diese Aufgabe ist für Pflegepersonal mit Sehbeeinträchtigung eine große Herausforderung. Betroffene sollten daher zukünftig durch digitale, durch Sprachbefehle bedienbare Patiententagebücher bei der Dokumentation unterstützt werden. Hierfür wurde ein „Pflegemanager“-System entwickelt, das per Spracheingabe und Ausgabe bei der Pflegedokumentation assistiert. Der „Pflegemanager“ kann mittels automatischer Spracherkennung bedient werden und bietet die Möglichkeit zum Diktieren von Texten oder Berichten. Das System gibt außerdem per Sprachausgabe mittels Text-To-Speech (Text zu Sprache) Rückmeldung zu Sprachbefehlen und liest Inhalte vor. 

„Untertiteltelefon” für Bankangestellte

Bankangestellte haben bei ihrer Arbeit häufig Telefonkontakt mit Kund:innen. Für Personen mit Höreinschränkung ist das Verstehen des Gegenübers am Telefon besonders herausfordernd. Das „Untertiteltelefon“ soll daher Personen mit eingeschränkter Hörfähigkeit beim Kundenkontakt am Telefon unterstützen, indem die Äußerungen des Gesprächspartners textuell übersetzt und angezeigt werden. Hierfür wurde ein Konzept entwickelt, um Telefongespräche mittels automatischer Spracherkennung in nahezu Echtzeit textuell anzuzeigen.

Vorteile im Unternehmen durch den KI-Einsatz

Hilfssysteme, wie digitale „Pflegemanager“, ermöglichen Pflegekräften mit Sehbeeinträchtigungen die weitere Ausübung ihres Berufs. Kolleg:innen, die an der Betreuung einzelner Patient:innen beteiligt sind, können wiederum durch das System von überall aus auf relevante Information zugreifen. Bei der Bank ermöglicht das „Untertiteltelefon” Bankangestellten mit Hörbeeinträchtigungen den Kundenkontakt am Telefon. Unternehmen können wiederum wertvolle Arbeitskräfte halten.

Änderungen im Betrieb durch den KI-Einsatz

Da im Berufsfeld Bank bereits eine sehr umfangreiche Digitalisierung von Arbeitsabläufen vorliegt, ist damit zu rechnen, dass ein „Untertiteltelefon“ meist ohne größere Aufwände oder Schulung bedient werden kann. Im Bereich Pflege wiederum sind viele Arbeitsabläufe, wie die Pflegedokumentation, noch nicht digitalisiert. Daher ist in der Pflege für die Schulung des Personals und Umsetzung digitalisierter Arbeitsabläufe mit mehr Aufwand zu rechnen.

Die in dem Projekt identifizierten Möglichkeiten zur Digitalisierung sind nicht nur für die potenziellen Nutzer:innen, wie Personal in Banken und Pflegeeinrichtungen mit Sinnesbeeinträchtigungen von Vorteil. Eine solche Digitalisierung würde allen Angestellten, d.h. nicht nur den Betroffenen, zugutekommen.

Herausforderungen

In vielen Berufsfeldern in Deutschland, wie der Pflege, ist die Digitalisierung immer noch nicht oder kaum fortgeschritten. Eine große Herausforderung in dem Projekt bestand daher darin, die Möglichkeiten für inklusive Arbeitsplätze durch digitalisierte Arbeitsabläufe zu identifizieren und somit den Prozess der Digitalisierung insgesamt voranzutreiben. Bezüglich der Voraussetzungen von Fähigkeiten bzw. Schulung ist im Bereich Pflege ein höherer Aufwand zu erwarten als für den Bereich Bank, da hier digitalisierte Arbeitsabläufe deutlich weniger üblich sind.

Wie wurde im Unternehmen Akzeptanz für den KI-Einsatz geschaffen?

Alle an dem Projekt beteiligten Testpersonen wurden von Beginn an in die Konzeptionsphase der für ihre Bedarfe entwickelten Hilfssysteme eingebunden und konnten sich somit persönlich von den Vorteilen des KI-Einsatzes überzeugen. Die deutlich positive Resonanz hat dem Konsortium die Wichtigkeit dieser Pionierarbeit KI-basierter Digitalisierung für Menschen mit Sinneseinschränkungen noch einmal bestätigt.