Nicole Formica-Schiller ist CEO & Gründerin der globalen Beratungsfirma Pamanicor Health, Buchautorin („Künstliche Intelligenz und Blockchain im Gesundheitswesen – Wie COVID-19 und zukunftsweisende Technologien den Status quo revolutionieren“) und von Forbes für “innovativste Ideen” in KI & Blockchain ausgewählt. Als internationale Digitalexpertin berät sie Politik, Industrie und Wissenschaft, wurde zur OECD KI-Expertin ernannt und ist im Vorstand des Bundesverbands KI. 

Hier beantwortet sie vier Fragen zu KI im Gesundheitswesen.

In welchen Bereichen des Gesundheitswesens kann KI zur Anwendung kommen und welche Bedeutung hat dabei ein menschenzentrierter Fokus einhergehend mit welchen Konsequenzen & Veränderungen?

Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) im Gesundheitswesen betrifft einen sensiblen Bereich: die Gesundheit. Zentrale Frage sollte daher sein: Wie können wir von dieser Schlüsseltechnologie bestmöglich profitieren und gleichzeitig die Bedeutung der Menschlichkeit wahren? 

Wesentliches Kriterium für „KI made in Europe“ ist deshalb die Schaffung einer menschenzentrierten, vertrauensvollen und transparenten KI. Denn gerade im Gesundheitswesen treffen oft große Hoffnungen gleichzeitig mit Ängsten vor der Anwendung von KI aufeinander.  

Je mehr Komplexität und je weniger Transparenz eine KI-Anwendung beinhaltet, desto mehr besteht die potenzielle Gefahr einer ablehnenden Haltung gegenüber KI. Daher ist es wichtig, dass KI-gestützte Anwendungen keine “Blackbox” sind, sondern bestmöglich verständlich und nachvollziehbar. 

Und das, obwohl die KI im Gesundheitswesen unumstrittene Vorteile mit sich bringt, die bei der Bewältigung  zunehmender Herausforderungen im Gesundheitswesen wie u.a. Kostendruck, Personalmangel und demographischer Wandel helfen kann.  

Bereits heute wird KI erfolgreich  bei Prävention, Früherkennung und Diagnose von Krankheiten, u.a. anhand der Analyse von Röntgenaufnahmen, bei der Suche nach bestmöglichen Therapien, Rehabilitation, routinemäßigen Verwaltungsaufgaben, Steuerung der Belegbettenkapazität u.v.m. eingesetzt. 

Daher weise ich immer wieder darauf hin: Kein zukunftsfähiges Gesundheitswesen kann ohne Digitalisierung und KI auskommen! Die COVID-19 Pandemie, aber auch die aktuellen wirtschaftlichen,  geopolitischen, gesellschaftlichen und immer schnelleren digitalen Entwicklungen bestätigen dies eindrücklich. 

Wie wichtig ist die Akzeptanz von KI-Anwendungen? Zum einen von Seiten der Health Professionals, zum anderen von Seiten der Patient*Innen sowie sonstiger Stakeholder im Gesundheitswesen wie z.B. Gesundheitsbehörden, Krankenversicherungen etc.?

Im Rahmen meiner Berufung in verschiedenen Kommissionen sowie meiner globalen Beratertätigkeit sehe ich große Unterschiede, was die Akzeptanz von KI-Anwendungen anbelangt. Diese Unterschiede lassen sich nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb Europas feststellen. Länder wie u.a. Estland oder Dänemark verfügen bereits heute über ein in großen Teilen digitalisiertes Gesundheitswesen und somit eine sehr gute Grundlage für die Akzeptanz und Anwendung von KI. 

Auch in Deutschland beobachte ich eine zunehmende Aufgeschlossenheit gegenüber KI-Anwendungen im Gesundheitswesen. Was stattdessen kritisch von den verschiedensten Stakeholdern, einschließlich der Patient:innen, vorgebracht wird, sind die bislang schleppende Digitalisierung des Gesundheitswesen und Unzulänglichkeiten im Umgang mit Daten (Datenzugang etc.). Beides sind Grundvoraussetzungen für die erfolgreiche Anwendung von KI und weiterer europäischer Vorhaben mit nationaler Tragweite wie z.B. dem „European Health Data Space“ (EHDS). 

Deshalb ist Deutschland zu empfehlen, jetzt die Weichen für ein effektives, digitales Gesundheitswesen zu stellen. Nachhaltig, menschlich, innovativ und dem Gemeinwohl aller dienend! 

Wie weit sind die Unternehmen der Gesundheitswirtschaft (insbesondere KMU) in der Umsetzung, wenn es um KI-Anwendungen geht? Welche Rolle spielt hierbei die bevorstehende EU Regulierung von KI?

Verschiedene Prognosen sagen durch den Einsatz von KI für die Weltwirtschaft ein Wachstum um knapp 15 Billionen US-Dollar bis 2030 voraus. KI wird unbestritten auch in der Gesundheitswirtschaft zu revidierten Geschäftsmodellen, neuen Kostenstrukturen und weiteren Veränderungen führen. 

In Deutschland stehen mittelständische Unternehmen dem Einsatz von KI in Teilen noch zögerlich gegenüber. Mangelndes Know-how über konkrete Anwendungsmöglichkeiten (Use Cases) und Skalierbarkeit, fehlende interne KI-Expertise und rechtliche Unsicherheiten sind einige der dafür genannten Gründe. 

Zu Letzteren gehört u.a. die bevorstehende EU-Regulierung von KI. Als Leiterin des Steering Committee des KI Bundesverbands zur EU KI Regulierung sehe ich hierbei die Gefahr einer potentiellen Überregulierung von KI. Dies würde Fortschritt durch KI langfristig erschweren und insbesondere Start-ups und KMUs keinen ausreichenden Innovationsfreiraum gewährleisten. 

Deutschland, die größte Volkswirtschaft der EU, sollte daher aktiv und gestaltend an dem digitalen Innovationsprozess teilnehmen und diesen vorantreiben. Hierbei kommt der Politik die wichtige Aufgabe zu, die angemessenen Rahmenbedingungen zu setzen. Andernfalls wird eine führende Position im internationalen Wettbewerb langfristig verloren gehen.  

In Ihrem aktuellen Buch skizzieren Sie weltweite Praxisbeispiele für den Einsatz von KI im Gesundheitswesen. Welches sind konkrete Handlungsempfehlungen, damit KI einen stärkeren positiven Einfluss im Gesundheitswesen haben kann?

Ich bin überzeugt, technologische Innovation und digitale Souveränität sind unverzichtbare Bestandteile eines jeden zukunftsfähigen und erfolgreichen Gesundheitswesens! 

Hierbei kommt allen Beteiligen die anspruchsvolle Aufgabe zu, disruptive Innovation und Fortschritt mittels KI und Digitalisierung interdisziplinär zu verstehen und zielführend umzusetzen. Und nicht den Status quo zu verwalten. 

Gesundheit, Technologie, Nachhaltigkeit und Ethik sind dabei im Kontext zu sehen. Dazu gehört auch das Ermöglichen der digitalen Teilhabe durch die Bürger:innen. Deren Sorgen und Ängste im Umgang mit technologischer Innovation sollten dabei offen angesprochen werden dürfen. Dies trägt dazu bei, ein besseres Verständnis für KI und deren Nutzen in Bezug auf Gesundheit zu schaffen.  

Denn KI ist kein Image Thema. Sondern unverzichtbar für eine effektive Gesundheitsversorgung der Bürger. Basierend auf „Innovation made in Europa“.