Autor: Max Oppenheimer

Dieser Beitrag wurde von Max Oppenheimer verfasst. Er ist Projektreferent für das KI Wissens- und Weiterbildungszentrum bei „das Demographienetzwerk e.V.“ (ddn) und ist für die Austausch- und Vernetzungsarbeit zuständig.

Was macht das KMU-Austauschforum?

Ziel der Austauschforen des KI Wissens- und Weiterbildungszentrums (KIWW) ist es, dass KMU über KI-Implementierungen berichten und gemeinsam zu damit in Verbindung stehenden Themen (z.B. digitales Change Management) ins Gespräch kommen. Hierfür werden Vertreter*Innen der KMUs eingeladen, die im KIWW-Wissenspool unter KI verstehen und nutzen ihre KI-Anwendungsfälle beschrieben haben und in einem lockeren Umfeld über Ihre Erfahrungen bei der KI-Implementierung berichten möchten.

1. KMU-Austauschforum im Juni 2022

Am 07. Juni 2022 fand der Auftakt der KMU-Austauschforen statt. In der ersten Austauschrunde tauschten sich Vertreter von drei KMU unter anderem darüber aus, wie es zu der Entscheidung kam eine KI-Anwendung im eigenen Unternehmen zu implementieren, welche Probleme damit gelöst werden sollten, wie man an die notwendigen Daten für das Trainieren einer KI gelangen kann und welche Auswirkungen auf das (Zusammen-)Arbeiten im Betrieb zu beobachten waren: 

Durch das Austauschforum konnten viele wertvolle Erkenntnisse gewonnen werden, die im Folgenden beschrieben sind.

Corona als Katalysator

Den Anfang in der Runde machte Herr Stein mit einem kurzen Impulsvortrag dazu, wie es zur KI-Implementierung bei der Restemeier GmbH gekommen ist. Den Ausgangspunkt bildete dabei die Coronapandemie. Das Unternehmen bemerkte recht schnell die sinkenden Zahlen im Straßenverkehr und nutzte die freigewordene Zeit, um neue mögliche Einkommensströme zu identifizieren. Im Gespräch mit den Mitarbeitenden wurden zudem Arbeitsschritte analysiert, die repetitiv oder schlicht zeitraubend waren. Die Essenz dieser Überlegungen sind drei KI-gestützte Innovationen, die in einem eigens dafür ausgegründeten Start-Up entwickelt wurden. 

Um Zeit zu sparen und die Mitarbeitenden bei stumpfen Aufgaben zu entlasten, wurde ein Fahrzeugscheinscanner entwickelt. Dieser extrahiert die Daten der Fahrzeugscheine und importiert sie automatisch in das verwendete Dokumentenmanagementsystem, wodurch die Angestellten mehr Zeit für anspruchsvollere Aufgaben haben. 

Um das eigene Geschäftsmodell zu erweitern, wurde zusätzlich ein Serviceprognosetool entwickelt, welches im Sinne von predictive maintenance funktioniert. Das Ziel des Tools ist dabei, anstehende Servicearbeiten an den Autos der Kund*Innen vorhersagen zu können. Da Livedaten, wie sie einer spezialisierten Markenwerkstatt zur Verfügung stehen, gefehlt haben, mussten eigene Datensätze generiert werden. Hierfür wurde eine Datenbank mit Informationen aus 26.000 Reparaturvorgängen gespeist und ausgewertet. 

Um den persönlichen Kontakt während der Pandemie zu reduzieren, aber nicht komplett zu verlieren, arbeitet das Unternehmen aktuell zusätzlich an einer Möglichkeit, Autoschäden digital an die Werkstatt zu melden, wobei hierbei noch komplexe Probleme gelöst werden müssen, wie beispielsweise eine richtige Strukturierung der Daten. 

Testen, anpassen, wiederholen

Insbesondere bei neuen Ansätzen, selbst mit etablierten Methoden wie intelligenter Bilderkennung, benötigt es manchmal viele Versuche, um den richtigen Weg für die eigene Lösung zu finden. Mit dieser Herausforderung konnten sich alle Anwesenden bereits beschäftigen. Bei der Restemeier GmbH wird in diesem Kontext aktuell im Zuge der digitalen Schadensmeldung daran gearbeitet, Lackschäden richtig zu identifizieren, was sich aufgrund unterschiedlicher Lackfarben oder Autoteile, als schwierige Herausforderung darstellt. Die C. Jentner GmbH musste ebenfalls mehrere Ansätze erproben, bis die KI, bei den zum Teil stark reflektierenden galvanisch beschichteten Werkstücken, eine zuverlässige Fehlererkennung und Klassifizierung durchführen konnte. Auch bei der Müller Maschinentechnik GmbH zeigt sich bei einem aktuellen Projekt, bei dem ein Roboter die scheinbar leichte Aufgabe erfüllen soll, einen Stecker selbstständig zu stecken, dass das Anlernen einer KI eine zeit- und datenintensive Aufgabe ist.  

„Da braucht es Tage, wenn nicht sogar Wochen, um dieses System anzulernen. Und dann kommt man an einen Punkt, an dem der Stecker vielleicht etwas verdreht ist und dann braucht es wieder zig Datensätze damit der Roboter lernt, dass er das drehen muss.“  

Lothar Vandeberg, Müller Maschinentechnik GmbH

So kompliziert muss es aber nicht immer sein. Insbesondere bei „Out of the Box – Lösungen“, wie die Software, welche die Müller Maschinentechnik GmbH als KI-gestütztes Enterprise Search-Tool verwendet, war der Trainingsprozess der KI überschaubar. Probleme, die sich mit dem Tool ergeben haben, bei denen zum Beispiel irrtümlich Fotos einer innerbetrieblichen Weihnachtsfeier angezeigt wurden, waren eher amüsant als gravierend und konnten ohne viel Aufwand behoben werden.   

Eine gute Datenstrukturierung ist entscheidend

Ein Problem, welches insbesondere in KMUs eine KI-Implementierung problematisch gestalten kann, ist eine ungenügend große Datenlage, oder, sollten genügend Daten vorhanden sein, nicht ausreichend strukturierte Daten. Unabhängig davon, in welchem Bereich eine KI-Anwendung implementiert werden soll, ist es wichtig sich frühzeitig Gedanken dazu zu machen, welche Daten man dafür benötigt und wie man diese sammeln und aufbereiten kann.  

Ein Aspekt, dem man dabei besondere Beachtung schenken muss, sind Faktoren, die den eigenen Datensatz negativ beeinflussen könnten. Das Beispiel von Herrn Stein zum predictive Maintanance anhand der Servicedaten war beispielsweise stark von einem Geschlechterbias betroffen. Hervorgerufen wurde dies durch die Tatsache, dass die Fahrzeughalter*Innen, die im Autoschein angegeben waren, nicht zwingend die gleichen Personen waren, die das Fahrzeug primär nutzten. Die Folge waren ungenaue Datensätze, die zuerst bereinigt werden mussten, damit die Zukunftsanalysen zuverlässig genug werden konnten. 

Viele Wege führen zum Ziel

Manchmal kann eine diffuse Datenlage aber auch umgangen werden. Der erste Ansatz der C. Jentner GmbH beim KI-Training orientierte sich an den etablierten Methoden einer KI-Bilderkennung. Dabei hätte es pro Fehlerkategorie rund 4000 Bilder benötigt. Jedes Einzelne hätte dabei unterschiedlich sein müssen und manuell im Nachgang angepasst werden, um den Bildabschnitt mit dem zu erkennenden Fehler einzugrenzen. Nachdem sich diese Methode aber nicht als zielführend erwiesen hatte, wurde ein komplett neuer Ansatz verfolgt. Nun wird mit Kontrastbildern gearbeitet, bei denen die Pixeldichte der möglichen Fehler analysiert wird. Mit dieser Methode konnten gleich zwei Probleme, nämlich Bilderkennung mit einer stark reflektierenden Oberfläche, ebenso wie die unzureichende Datenmenge/-qualität an KI-Trainingsbildern, umgangen werden. 

KI entlastet, anstatt zu ersetzen

Ein Punkt, in dem sich die Anwesenden einig waren, ist, dass Künstliche Intelligenz aktuell noch nicht die große Gefahr darstellt, die uns allen die Arbeit wegnehmen wird. KI sollte vielmehr als Möglichkeit wahrgenommen werden, monotone, zeitraubende, oder schlicht anstrengende Aufgaben zu übernehmen. KI kann darüber hinaus auch als Chance verstanden werden, um arbeitsmarktrelevanten Problemen wie dem demographischen Wandel, oder dem Fachkräftemangel, entgegenzuwirken.  

In den besprochenen Use Cases zeigt sich diese Bild recht deutlich. Bei der Müller Maschinentechnik GmbH verringert das KI gestützte Enterprise Search-Tool nicht nur die Zeit, die Beschäftigte damit verbringen nach bestimmten Informationen in den verschiedenen Datensilos zu suchen, es erleichtert und verkürzt zudem die Zeit für das Onboarding neuer Mitarbeitender.  

Dadurch, dass die KI bei der Restemeier GmbH die repetitive Aufgabe der Dateneingabe übernimmt, spart sich das Unternehmen rund 5 Minuten Eingabezeit pro Fahrzeugschein. Was sich im ersten Moment nach verhältnismäßig wenig anhört, summiert sich bei rund 4000 Eingaben pro Jahr auf etwa 330 Stunden. Dadurch entfällt keine Arbeitsstelle. Die freigewordene Zeit kann nun für anspruchsvollerer Arbeit genutzt werden.  

Und auch bei der C. Jentner GmbH wird die Belegschaft durch die KI entlastet. Die Qualitätskontrolle der Werkstücke, die zuvor durch eine Mitarbeiterin mit Hilfe eines Stereoskops durchgeführt wurde, war eine monotone und zudem psychisch wie physisch anstrengende Arbeit. 

„Wir machen am Tag 800 OP-Pinzetten. Das heißt die Mitarbeiterin hat dann 800 Pinzetten jeden Tag unter dem Stereoskop angeschaut, den ganzen Tag. Sie können sich dann vorstellen, danach gehen Sie mit solchen Augen nach Hause.”  

Marcel Scheidig, C. Jentner GmbH

Die Belegschaft in den Changeprozess einbinden

„Als wir ihr dann gesagt haben ‚Wir haben da jetzt eine Lösung, die dir die Arbeit abnehmen kann, aber nicht deinen Job ersetzt, weil du dann andere Tätigkeiten machen kannst‘ war sie sofort dabei.”

Marcel Scheidig, C. Jentner GmbH

Das Beispiel der C. Jentner GmbH zeigt deutlich, dass die Einbindung der Belegschaft in den digitalen Changeprozess positive Effekte mit sich bringt. Ähnliches zeigt sich auch bei der Restemeier GmbH. Indem das direkte Gespräch mit der Belegschaft gesucht und auf die Wünsche und Ideen der Angestellten eingegangen wurde, konnte ein hohes Maß an Unterstützung sichergestellt werden. Durch diese Form des Bottom-up Prozesses können die Arbeitskräfte direkt motiviert werden, indem ihre Ideen und Fähigkeiten Wertschätzung erfahren. Gleichzeitig können auf diese Weise sofort Bedenken oder Ängste aus dem Weg geräumt werden, die einem erfolgreichem Changeprozess entgegenwirken könnten. 

Auch bei der Müller Maschinentechnik GmbH wurden alle Mitarbeitenden rechtzeitig mitgenommen, als es darum ging die KI-Anwendung zu implementieren. Hierbei reichte sogar ein kurzes Aufklärungsgespräch, um über die Vorteile der Software zu informieren. Ein Vorteil war dabei, dass die Anwendung keinen so gravierenden Einfluss auf das Unternehmen zu haben schien, dass jemand um seine Stelle bangen musste, sondern sofort klar wurde, dass es sich um eine reine Unterstützungsmaßnahme handeln soll, die das Arbeiten erleichtern würde. 

„Automation geht nicht mehr darum Leute zu substituieren, sondern wir haben einen Fachkräftemangel. Und wenn man sieht was auf dem Arbeitsmarkt los ist, dann muss man solche Wege gehen. Und es geht ja auch darum das eigene Unternehmen Wettbewerbsfähig zu halten und da helfen dann auch solche Systeme. Und das ist auch ein Fehler der heutigen Zeit, die eigenen Leute bei der Thematik dann nicht dabei abzuholen.“

Lothar Vandeberg, Müller Maschinentechnik GmbH

Wie sieht die Zukunft aus?

KI als Megatrend? Alles nur Buzzword? Oder doch irgendwo dazwischen. Die Frage danach wie die Unternehmen die Zukunft der KI-Entwicklung und deren Einfluss auf ihr eigenes Umfeld einschätzen, schwankt stark zwischen den Branchen. 

Für Herr Stein ist klar: insbesondere im Automotive Bereich werden KI-Entwicklungen immer relevanter, wodurch sich auch Auswirkungen auf alle damit verknüpften Systeme beobachten lassen. Als Autowerkstatt wird man sich beispielsweise mit der Frage auseinandersetzen müssen, was passiert, wenn selbstfahrende Autos in absehbarer Zukunft flächendeckend eingesetzt und dadurch im Idealfall die Unfallquoten sinken. Nimmt KI dann doch unsere Arbeit weg? Für Herr Stein ist die viel wichtigere Frage, was man als alternatives Standbein identifizieren kann, um die Belegschaft trotzdem weiterhin auslasten zu können.  

„Ich glaube das war immer so in der Industrie. Wenn irgendein Zweig weggebrochen ist, dann waren nicht plötzlich alle arbeitslos, sondern dann gab es immer was Neues. Deshalb haben wir auch was ausgegründet und sind dadurch auch selbst Anbieter in diesem Kontext geworden“

Maximilian Stein, Restemeier GmbH/mmmint.ai

Aus der Galvanikbranche berichtet Herr Scheidig, dass sie dort mit ihrer KI-Anwendung noch unangefochtene Vorreiter sind, während die Konkurrenz weit abgeschlagen ist. Hierbei ist aber auch zu beachten, dass die Kunden gar nicht den Anspruch nach radikalen Neuerungen stellen. Solange die Produktqualität stimmt, ist die Art und Weise wie diese erreicht wird nicht von großer Relevanz. Hier sieht sich die C. Jentner GmbH als Pionier, der versucht einen neuen Standard zu etablieren, um beispielsweise Ausschuss in der Produktion besser zu vermeiden. 

Herr Vandeberg von der Müller Maschinentechnik GmbH sieht den größten Nutzen der KI weiterhin im Automationsbereich, und zwar dort, wo die monotonsten Tätigkeiten auszuführen sind. Qualitativ hochwertige Arbeit bleibt somit dem Menschen erhalten. 

Hier wird wieder deutlich: KI und Digitalisierung werden unsere Arbeit verändern. In bestimmten Branchen früher und intensiver als in anderen. Die Konsequenz bleibt aber die Gleiche. Anpassungsfähigkeit und der Wille sich und sein Unternehmen zu wandeln werden immer wichtiger. 

KI muss nicht teuer sein

Abschließend bleibt die Frage nach dem monetären Aspekt einer KI-Implementierung. Muss eine KI-Anwendung teuer sein und ab wann rechnet sie sich? 

Die erste Teilfrage beantwortet Herr Vandeberg mit einem klaren Nein. Das Investment für die Implementierung des Out of the Box Services belief sich auf 5 bis 8 tausend Euro und war damit vergleichsweise überschaubar. Als „Software as a Service“ kommen dann zwischen 5 und 10 Euro pro Userlizenz und pro Monat hinzu. Gerechnet hat sich die Anwendung sehr schnell, da der Onboarding Prozess neuer Mitarbeitenden stark verkürzt wird und diese dadurch viel schneller in den Job starten können. Bezogen auf ihr aktuelles Automationsprojekt zum „Kamerastecken“ ist das Investment etwas höher. Hier, so Vandeberg, muss man mit etwa 30 tausend Euro für das Addon rechnen, plus einen Roboter für 30 bis 50 tausend Euro, sowie die Programmierung. So komme man schnell auf 100 tausend Euro. Dadurch müsste man das Kosten-Nutzen-Verhältnis zunächst ausführlicher abwägen. Auch die C. Jentner GmbH konnte ihre Kosten vergleichsweise geringhalten. Zwar kann zum aktuellen Zeitpunkt noch kein eindeutiger monetärer Mehrwert identifiziert werden, aber durch die Kooperation mit der Hochschule Pforzheim konnte ein Großteil der Arbeit „outgesourced“ werden. Die komplette Programmierarbeit, sowie die interne Forschungsentwicklung konnte über Studien- und Semesterarbeiten abgewickelt werden. Die zusätzlichen internen Leistungen konnte über eine Forschungszulage gefördert werden. Dadurch wurden die Personalkosten stark relativiert, wodurch ein Cobot für rund 30 tausend Euro das einzige größere Investment war.  

Die Restemeier GmbH stellt bei dieser Frage, durch die Ausgründung ihres eigenen Start-Ups in Form der mmmint.ai, einen Sonderfall dar. Hierbei konnten die Kosten aber auch gut gedeckelt werden. Verschiedene Förderprogramme halfen dabei den richtigen Cloudservice für das Angebot zu finden, wodurch für diesen Teilbereich aktuell noch keine Kosten anfallen. Die konkreten Kosten sind die neuen Mitarbeitenden des Start-Ups. Für die Restemeier GmbH stellen diese aber ein Investment in die Zukunft für das digitale Geschäftsmodell dar. Durch die Ausgründung können nun zudem Lösungen, die ursprünglich für den eigenen Bedarf entwickelt wurden, nun auch an andere Kunden vermarktet werden. 

Haben Sie Fragen zu dem Artikel oder möchten Sie an den kommenden Austauschforen teilnehmen? Dann wenden Sie sich gerne an den zuständigen Mitarbeiter Max Oppenheimer unter: oppenheimer@ddn-netzwerk.de